Historischer Wandel und historische Kontinuität zeigen sich in der Evangelischen Kirchgemeinde Gachnang in besonderem Masse. Während das Gebiet der Kirchgemeinde in ihrer über 1200jährigen Geschichte im wesentlichen gleich blieb, zogen politische Veränderungen immer wieder neue Grenzen quer durch das Areal. So kommt es, dass heute die Evangelische Kirchgemeinde, welche ihr Zentrum im thurgauischen Gachnang hat, Kirchbürger dreier politischer Gemeinden unter dem Evangelium Jesu Christi vereint: der Politischen Gemeinde Gachnang, eines Teils der Stadt Frauenfeld und eines Teils der Politischen Gemeinde Wiesendangen. Doch schon bevor es auch nur die Kirchgemeinde gab, hinterliessen frühere Kulturen ihre Spuren in unserem Gebiet.

Pfahlbautensiedlung bei Niederwil

(Jungsteinzeit 5000-1800 v. Chr.) Rechts des Weges von Niederwil nach Strass, in der Nähe des Hohliberg, lag in der jungen Steinzeit ein Moordorf. Die Siedlung war von drei bis vier Pfahlreihen umzäunt und bestand aus 6-8 Meter langen und 3-6 Meter breiten Häusern.

Römerstrasse

(1.-2. Jahrhundert) Eine Römerstrasse führte Anfang des 1. Jahrhunderts von Bregenz über Arbon, Pfyn, an Strass und Gundetswil vorbei, über Winterthur, die Brüttener Höhe, Kloten und Baden ins Legionslager nach Vindonissa (Windisch). Wahrscheinlich wurde das Areal um die römische Garnison Vitudurum (Winterthur) in den ersten Jahrhunderten mit vereinzelten Gutshöfen besiedelt, die jedoch nach der militärischen Aufgabe der Garnisonsstadt im Laufe des 4./5. Jahrhunderts aufgegeben wurden und verfielen.

Römischer Gutshof in Gundetswil

(1.-4. Jahrhundert) Im Areal des Ackerfeldes namens «Tannwiesen» in der Nähe von Gundetswil unternahm die Kantonsarchäologie Zürich Ende November 2000 eine zweiwöchige Grabung. Dabei kam ein grosser Brennofen für Keramik (1. bis 4. Jahrhundert n. Chr.) zu Tage. Der Gutshof befand sich direkt an der heutigen Strasse, die am Ziegelacker vorbei nach Rickenbach führt. Es muss sich um einen grösseren Gebäudekomplex mit Wirtschaftsareal gehandelt haben.

Die erste Grenze (9. Jahrhundert)

Im frühen Mittelalter gab es im Gebiet der Nordostschweiz eine einzige politisch bedeutende Grenze, nämlich die zwischen den Einflussbereichen der Abtei Reichenau einerseits und des Klosters St. Gallen andererseits und damit die Grenze zwischen den Kirchgemeinden Gachnang und Elgg, die heute noch wie vor 1200 Jahren nördlich von Kappel, Gündlikon und Buch verläuft, also quer durch die neue Politische Gemeinde Wiesendangen.

Die zweite Grenze (1414-1460)

Die politische Grenze durch die Kirchgemeinde Gachnang, die heute Kantonsgrenze heisst, entstand während und nach dem Konstanzer Konzil (1414-17). Im Verlauf der Streitigkeiten wurden dem habsburgischen Lehensherrn seine Gebiete im damaligen Thurgau entzogen und an verschiedene neue Herren verteilt: So erhielten die Herren von Kyburg den Besitz rund um Bertschikon. 1424 gelangten die Gebiete der Kyburg an Zürich. Damit wurde eine politische Grenze durch die Kirchgemeinde festgeschrieben. Die anderen entzogenen Gebiete erhielten die Habsburger für kurze Zeit wieder zurück, mussten sie jedoch 1460 den Eidgenossen lassen.

Gachnang wird reformiert (1523-1528)

In der ländlichen Kirchgemeinde Gachnang bestimmten die Zürcher Dörfer Bertschikon, Gundetswil, Liebensberg und Oberbertschikon die Reformation prägend mit. Sie erhielten in glaubensrechtlichen Fragen von der seit 1523 reformierten Limmatstadt massive Unterstützung. 1528 bewirkte Pfarrhelfer Konrad Wolf bei den Gachnanger Kirchgenossen Sympathie für die Reformation und Gachnang folgte als eine der ersten thurgauischen Gemeinden dem Beispiel ihrer Zürcher Nachbarn und wurde geschlossen reformiert.

Gachnanger Handel (1610)

An Pfingsten 1610 kam es bei einer Hochzeitsfeier im Gachnanger Wirtshaus zur Krone zu einem gewaltigen Streit («Händel»), der darin mündete, dass 800 Reformierte aus der ganzen Umgebung mit Kriegsgeschrei gegen das Gachnanger Schloss zogen, in welchem ein katholischer Gerichtsherr residierte, und es verwüsteten. Die Folgen waren verheerend. Zürich wurde vorgeworfen, in dem üblen Spiel mitgemischt zu haben. Bald verbreitete sich das Gerücht, die Schwyzer planten mit Hilfe der Spanier einen Angriff auf die Limmatstadt. Zürich mobilisierte Truppen und bat seine Glaubensgenossen von St. Gallen, Appenzell AR, Bern, Schaffhausen und Winterthur um Hilfe. So kam es, dass an der Tagsatzung in Baden im Juli 1610 der Gachnanger Handel im Mittelpunkt der Geschäfte stand. Krieg konnte jedoch vermieden werden. Die Reformierten bekamen eine Geldstrafe von 5500 Gulden aufgebrummt.

Die dritte Grenze (1997)

Im Zuge der Neuorganisation der Thurgauer Munizipalgemeinden zu Einheitsgemeinden in den 90er Jahren entschied sich die Bevölkerung von Gerlikon, Schönenhof und Zelgli, politisch nicht mehr zu Gachnang, sondern zu Frauenfeld zu gehören. Zwar wehrte sich die Munizipalgemeinde gegen die Abtretung von Gerlikon an Frauenfeld, doch entschied der Grosse Rat, dem Wunsch der Gerlikoner zu entsprechen. Über die mehr als 1000jährige Zugehörigkeit der an Frauenfeld abgetretenen Gebiete zur Kirchgemeinde Gachnang bestand kein Diskussionsbedarf. So durchzieht seit 1. Januar 1998 eine zweite politische Grenze die Kirchgemeinde Gachnang, die jedoch das kirchliche Leben nicht beeinträchtigt. Die Gerlikoner können weiterhin auf dem Gachnanger Friedhof ihre letzte Ruhestätte finden und in der Gerlikoner Kapelle findet nach alter Tradition einmal im Monat ein Abendgottesdienst für die ganze Gemeinde statt.  

Die heutige Situation

Trotz aller politischen Wirren beginnend mit den Grenzstreitigkeiten des 15. Jahrhunderts, über die Reformationszeit (1528), die Helvetik (1799) den Sonderbundskrieg (1848) und die turbulenten Gemeindeversammlungen in Gerlikon 1997 liess sich die Kirchgemeinde Gachnang von all den Streitigkeiten nicht erschüttern und blieb seit ihrer Gründung (wahrscheinlich im 9. Jahrhundert) bis heute eine homogene Einheit. Daher hat sie einen besonderen Charakter. Zwar gibt es noch evangelische Kirchgemeinden im Thurgau, die in den Kanton Zürich hinüberreichen, aber bei allen anderen liegt ein Vertrag zwischen den verschiedenen Gemeinden vor. Allein die Gachnanger Kirchgemeinde beruht einzig auf dem Gewohnheitsrecht. «Es war schon immer so, und es soll auch so bleiben.» Die Zürcher Kirchbürger fühlen sich in der evangelischen Kirchgemeinde gut, da die Kirchenvorsteherschaft diesen Gemeinden besondere Beachtung schenkt: Von 9 Kirchenvorsteherschaftsmitgliedern sind 3 oder 4 (Kefikon kann entweder einen Zürcher oder einen Thurgauer stellen) aus dem Kanton Zürich; Zürcher werden zu Präsidenten der Kirchenvorsteherschaft gewählt und vertreten die Gachnanger Kirchgemeinde mit vollem Stimmrecht in der Thurgauer Synode. Da die Bertschikoner Einwohner ihre letzte Ruhestätte auf dem Gachnanger Friedhof im Thurgau finden, lautet ein alter Spruch: «D Bertschiker sind läbigi Zürcher und toti Thurgauer.» Dies kann aber auch anders ausgedrückt werden: «Die Bertschikoner sind zeitlich politische Bürger von Bertschikon, aber für die Ewigkeit sind sie Gachnanger Kirchbürger.» In ähnlicher Weise kann dies seit 1998 auch von den Gerlikoner Kirchbürgerinnen und Kirchbürgern gesagt werden.

Evangelische Pfarrer in Gachnang

1. Konrad Wolf 1529-1554
2. Konstantin Wolf 1554-1563
3. Johann Herter 1563-1573
4. Joachim Herter 1573-1585
5. Hans Heinrich Bernhart 1585-1623
6. Johann Jakob Wüest 1623-1635
7. Johann Jakob Lavater 1635-1677
8. Johann Heinrich Lavater 1677-1725
9. Christoph Lavater 1725-1744
10. Johann Hartmann Blass 1744-1785
11. Hans Heinrich Blass 1785-1799
12. Hartmann Heinrich Kramer 1799-1803
13. Johannes Ludwig Sulzberger 1803-1830
14. Rudolf Hanhart 1830-1855
15. Alfred J. Aepli 1855-1898
16. Gottlieb Egloff 1898-1912
17. Walther Huber 1912-1945
18. Alfred Fankhauser 1945-1984
19. Christian Herrmann 1985-2020
20. Sabine Schüz seit 2020
21. Dirk Oesterhelt seit 2020